Altersarmut, Schulden, Prozess am Hals: Wie Rentner-Anwalt Watzlawik einer Halfinger Seniorin hilft (2024)

  1. ovb-online-de
  2. Rosenheim
  3. Region Chiemgau
  4. Westlicher Chiemgau

Stand:

Von: Kathrin Gerlach

Kommentare

Altersarmut, Schulden, Prozess am Hals: Wie Rentner-Anwalt Watzlawik einer Halfinger Seniorin hilft (1)

Alfred Watzlawik ist Rentner-Anwalt im doppelten Sinne. Wenn es um die Rechte der Senioren geht, kann der 70-Jährige richtig laut werden. Jetzt arbeitet er sogar pro bono, um einer 75-Jährigen aus Halfing zu helfen, die in Altersarmut lebt und in die Schuldenfalle getappt ist.

Rosenheim/Halfing/Brannenburg – Rosi Huber aus Halfing (*Name redaktionell geändert) weiß nur zu gut, was Altersarmut bedeutet. Sie ist 75 Jahre alt. Und sie ist arm. Mit ihrer Rente von 1000 Euro kann sie mehr schlecht als recht leben. Damit ist sie nicht allein. Ein Großteil der gesetzlichen Renten in Deutschland (54,3 Prozent) liegt unter der Armutsgrenze.10,1 Millionen Deutsche wurden nach einer Statistik des Bundessozialministeriums aus der Arbeit in die Armut entlassen, denn sie haben im Monat weniger als 1250 Euro zum Leben.

Altersarmut, Schulden, Prozess am Hals: Wie Rentner-Anwalt Watzlawik einer Halfinger Seniorin hilft (2)

Ein Trost ist das für Rosi Huber nicht. Ein Spiegel der Gesellschaft schon. Gerade wird in Berlin über ein neues Rentenpaket gestritten. Rosi Huber nützt das wenig. Sie hat ihre eigenen Probleme. Die haben sich seit Jahren so enorm aufgestaut, dass sie sich nun in einem Zivilprozess vor dem Amtsgericht Rosenheim verantworten muss.

Schulden, Sorgen, Krankheit

Die 75-Jährige ist zur öffentlichen Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht gekommen. Dafür ihr Anwalt Alfred Watzlawik. Er ist selbst schon Rentner, hat ein langes Berufsleben als Jurist in der Finanzverwaltung hinter sich. Mit 66 Jahren gründete er seine „Alternative Anwaltskanzlei Alfredo“ in Brannenburg. In diesem Jahr wird er 70. Für Rosi Huber aus Halfing arbeitet er pro bono, denn Geld hat sie keines, dafür aber jede Menge Schulden, Sorgen und gesundheitliche Probleme.

Mit 70 Jahren umgeschuldet

Vor fünf Jahren hat sich die Seniorin noch einmal aufgerafft, ihre finanzielle Situation zu verbessern. Da war sie schon 70. Ein Kredit macht ihr zu schaffen. Da sie nur eine kleine Rente hat, will sie sich durch eine Umschuldung wieder mehr Luft verschaffen.Im September 2019 wechselt sie zur Targo-Bank. Die hat 3,5 Millionen Kunden und auch für die Seniorin aus Halfing eine Lösung: Sie eröffnet ihr ein Girokonto, räumt ihr einen Dispositionskredit ein, stattet sie mit einer Kreditkarte aus und löst ihren Altkredit ab. Für den neuen wird eine Absicherung gebraucht. Die Targo-Versicherung hat das passende Angebot: eine Risikolebensversicherung. Das Paket stimmt.

Schulden steigen, Rente bleibt gering

Rosi Huber atmet und lebt auf, zahlt nun auch mit der Visacard. Anfangs kann sie ihre Raten noch bedienen. Doch die Schulden steigen, die Rente aber bleibt gleich. Dann schnappt die Schuldenfalle zu. Ab April 2022 rutscht sie ins Minus. Sie kann ihren finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen. Im September 2022 kündigt ihr die Targo-Bank den Dispo. Sie hat die 4500 Euro nicht, um ihn abzulösen. Dafür noch mehr Schulden: Jetzt insgesamt 14.800 Euro – den Umschuldungskredit in Höhe von 9522 Euro, einen Dispokredit von 4500 Euro und ein Minus auf der Visacard von 871 Euro.

Rentnerin schlägt Gesprächsangebote aus

Auf Gesprächsangebote der Bank reagiert Rosi Huber nicht. Und so wird die Überziehung ihres Bankkontos 20 Monate später vor dem Amtsgericht Rosenheim verhandelt. Eine große Bank gegen eine arme Rentnerin – David gegen Goliath? „Wo nichts ist, da kann man auch nichts holen“, weiß Anwalt Watzlawik aus 35-jähriger Vollstreckungserfahrung beim Finanzamt. Er hofft, dass die Anwälte der Targo-Bank genau aus diesem Grund die Klage zurückziehen werden. Sein Argument: „Der Vertragsabschluss mit meiner Mandantin war sittenwidrig.“ Schließlich sei absehbar gewesen, dass sie mit ihrer kleinen Rente weder die bestehenden, noch die zusätzlichen finanziellen Belastungen schultern kann.

Bei Privatinsolvenz kann Rente nicht gepfändet werden

Schon 2019, sagt Watzlawik später im Gespräch mit dem OVB, wäre eine Schuldnerberatung der einzige Ausweg für die Seniorin gewesen. Hätte sie damals Privatinsolvenz angemeldet, wäre es so weit nie gekommen. „Aus der Rente ist nichts pfändbar“, weiß er. DerSelbstbehalt bei einer Privatinsolvenz liegt für Rentner bei 1409 Euro. Rosi Huber wäre also ihre Schulden und ihre Sorgen los gewesen, und hätte ihre Rente zum Leben gehabt. So aber „hat sie lange Zeit unter dem Existenzminimum gelebt“, sagt ihr Anwalt. Und sie hat einen Prozess am Hals.

Bank hat 14.800 Euro verloren

In der Verhandlung beruft sich die Gegenseite – die Targo-Bank wird von der Regensburger Rechtsanwaltskanzlei Swoboda & Partnervertreten – auf die Fakten: Es gehe im Rechtsstreit allein um das Girokonto, fokussiert die Rechtsanwältin die Diskussion aufs eigentliche Thema der Verhandlung. Und das könne eine Bank einem Kunden anbieten, ohne dabei seine Kreditwürdigkeit zu prüfen. Zudem sei ein Dispositionskredit lediglich zur kurzzeitigen Überbrückung finanzieller Engpässe gedacht, nicht aber zur Dauernutzung. Und: Jeder Mensch habe mit seiner privaten Autonomie gleichzeitig auch Verantwortung.

Doch Rechtsanwalt Watzlawik will das große Ganze betrachten, denn „die Zinslast dieses ganzen Pakets“ habe Rosi Huber erdrückt. Die Gegenseite argumentiert: „Die Bank hat gegeben und nicht genommen“, denn sie ist es, die viel Geld verloren hat.

Die Lösungssuche zwischen Recht und Moral ist schwierig. Am gesellschaftlichen Problem der niedrigen Renten kann das Gericht nichts ändern. Die Targo-Bank hat 14.800 Euro eingebüßt. „Sie bekommen sowieso keinen Pfennig. Wozu brauchen Sie einen leeren Titel?“, wirft Watzlawik der Bank-Rechtsvertretung vor. Das Finanzamt hätte von einer Vollstreckung längst abgesehen. Doch die Bank ist eben keine öffentliche Behörde, sondern eine private Aktiengesellschaft.

Was ist richtig, was falsch? Auch das Verhalten der Beklagten wird beleuchtet. An den Kontoauszügen, die dem Gericht vorliegen, ist ersichtlich, dass Rosi Huber offenbar mit Geld nicht umgehen kann. Hohe Barabhebungen – oft mit den Zusatzgebühren fremder Banken, intensives Internet- oder Katalog-Shopping, eine Überweisung in Höhe von 1000 Euro auf ein anderes Bankkonto. „Das Handeln der Beklagten ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Noch dazu in Verbindung mit den Schulden. Sie hat offenbar über ihre Verhältnisse gelebt“, schätzt RichterinJuliaHaagerein.

Gütliche Einigung ist nicht möglich

Sie möchte einen Ratenvergleich aushandeln – aufgrund des kleinen Einkommens am Existenzminimum zumindest mit einer Mini-Rate. Doch Anwalt Watzlawik bleibt dabei: „Die Frau ist krank, geht unter. Ich kann nichts anbieten.“ Doch gar nichts zu zahlen, scheint aus Sicht der Bank auch keine Lösung zu sein. Die gütliche Einigung scheitert. Das Urteil wird am 14. Juni gesprochen.

Verliert Rosi Huber den Rechtsstreit hat sie noch mehr Schulden, denn dann müsste sie auch die Kosten des Verfahrens tragen. Möglich, dass ihr auch diese gesponsert werden, so wie der Anwalt.

„Das ist Lebenswirklichkeit“, sagt Alfred Watzlawik. Er gibt nicht auf, streitet dafür, dass Senioren ehrlich beraten werden und hat schon den nächsten Fall auf dem Tisch. Wieder eine Bank. Rosi Huber verfügt inzwischen über eine neue Bankverbindung, diesmal ein Plus-Konto. Und, so meint ihr Anwalt: „Es ist an der Zeit, dass sie zur Schuldnerberatung geht.“ Denn auch wenn Scham und Hemmschwelle groß sind: Rechtzeitige Hilfe hätte im Falle der Halfinger Seniorin die Schuldenspirale stoppen können.

Zur Startseite

Auch interessant

Kommentare

Altersarmut, Schulden, Prozess am Hals: Wie Rentner-Anwalt Watzlawik einer Halfinger Seniorin hilft (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Merrill Bechtelar CPA

Last Updated:

Views: 5958

Rating: 5 / 5 (70 voted)

Reviews: 85% of readers found this page helpful

Author information

Name: Merrill Bechtelar CPA

Birthday: 1996-05-19

Address: Apt. 114 873 White Lodge, Libbyfurt, CA 93006

Phone: +5983010455207

Job: Legacy Representative

Hobby: Blacksmithing, Urban exploration, Sudoku, Slacklining, Creative writing, Community, Letterboxing

Introduction: My name is Merrill Bechtelar CPA, I am a clean, agreeable, glorious, magnificent, witty, enchanting, comfortable person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.